Gasthaus "Zur schleichenden Katze" - Coop by Spartan, Cassi, DON und MoD
Roggash betrat widerwillig die Hauptstraße. Ihm missfiel diese Wendung der Ereignisse. Denn Hauptstraßen waren vieles ... nur nicht das, was er brauchte. Offen, stinkend belebt. So auch hier. Die Straße war relativ breit, sodass ohne Probleme mehrere Dutzend Menschen gleichzeitig in Sichtweite sein konnten. Zu dieser Zeit des Tages ein paar weniger - aber noch immer genug. Und es stank. Während es in den Nebengassen häufig nach entledigten Essensresten und Urin stank, kamen auf der Hauptstraße noch die Gerüche von abgestandenem Speisefett und -talg, ungewaschenen Körpern zahlloser Menschen und dem Flüsschen undefinierbaren Gossenwassers hinzu. Keine guten Voraussetzungen, um den schwacharomatischen Duft gesalzenen Blutes zu erschnüffeln.
Der Ork seufzte hörbar und schnaubte kräftig mit den Nüstern, sodass der Bettler neben ihm erschrocken zusammenzuckte und an der massiven Gestalt des gerade aus der Gasse Getretenen empor blickte. Roggash schenkte ihm keine Beachtung, sondern stapfte den gepflasterten Weg entlang. Nachdem er die beiden Wachposten passiert hatte, die ihn natürlich zu einer zufälligen Personenkontrolle herausgezogen hatten, versuchte der Ork erneut die Verfolgten zu lokalisieren. Inzwischen war sich Roggash nicht einmal mehr sicher, warum er diesen Aufwand überhaupt betrieb ... wegen dem kurzen Gespräch in der letzten Kneipe, das er mitbekommen hatte? Wirklich? Vielleicht sollte er die ganze Sache abblasen. Vielleicht ...
In dem Moment ging knapp 20 Meter vor ihm zu seiner rechten die Türe eines Gasthauses auf. "Zur schleichenden Katze". Neben dem üblichen Aroma von Bier und alkoholischen Abgasen der Kunden, meldete sich ein vertrautes Kitzeln in der Nase. Der ältere der beiden Männer rief gerade noch über seine Schulter "... erledigen muss. Wenn ich fertig bin, komme ich wieder!" Einer auf der Straße - der andere im Gasthaus. Was würde wohl interessanter sein? Nach Kurzem Zögern entschied er sich, ein paar Minuten zu warten und letztlich das Wirtshaus zu betreten. Die Tür quietschte leicht, als sich sein massiger Körper hindurchschob.
Alarion horchte auf, als die Tür zum Gasthaus erneut geöffnet wurde. Er dachte erst, Grindol hätte es sich vielleicht anders überlegt und wäre schon zurück, doch die Hoffnung verflog so schnell wie sie gekommen war. Stattdessen schob sich jemand anderes durch die Tür. Oder besser gesagt etwas. Er hatte einige Orks schon aus der Ferne gesehen, aber nie aus nächster Nähe. Bei dem Anblick lief ihm ein Schauer über den Rücken. Ca. zwei Meter groß, obwohl er merkwürdig gebückt lief. Seine Hautfarbe dunkelgrau bis grünlich und lange weiße Haare. Über der linken Schulter hing ein Wolfsfell, an dem noch der Kopf hing. Eigentlich wollte er lieber wegschauen, da es oftmals auffällig war, wenn man starrte. Irgendwie konnte er aber nicht den Blick von dem massigen Ungetüm nehmen.
Roggash ließ den Blick derweil kurz durch die Schankstube wandern. Einige Gäste blickten zur Türe, andere waren in Gespräche und Würfelspiele vertieft. Als der Ork den Schankthresen fixierte, kam auch das Menschenjunge in sein Sichtfeld, das der alte Zwerg wohl hier zurückgelassen hatte. Hinter dem Thresen bediente eine Menschenfrau mittleren Alters, blonde Haare, vergleichsweise klein und stämmig - und dem Blick nach zu urteilen, den sie habichtartig durch den Raum schweifen ließ, wohl auch die Inhaberin des ganzen Ladens. Ein wenig gespielt schwerfällig begab sich der Ork zur Theke, ließ sich auf einem der eigentlich viel zu kleinen Barschemel unter einem gefährlichen Knacken nieder und bestellte nach einem kurzen Husten einen Humpen Bier. Er war sich dabei durchaus bewusst, dass keine zwei Meter entfernt der verfolgte Jüngling stand und ihn mit großen Augen anstarrte.
Eleonora wandte sich zu dem neuen Gast um. Auch wenn sie sich nichts anmerken ließ, so war sie sehr wachsam. Nicht, dass sie prinzipiell Orks nicht leiden konnte, aber sie machten gerne einmal Ärger.
"Ah, ein Herr mit Geschmack." Sie ließ ihm einen Humpen Bier ein und reichte ihn rüber.
"Kann man noch etwas tun?"
Noch ehe er antwortete, nahm der Ork einen großen Schluck aus dem ihm gereichten Gefäß. Schaumig war es und wie immer in den Kneipen ein wenig dünn. Allerdings glaubte er zumindest den Geschmack von Hopfen zu erkennen - was um Längen besser war, als in den billigen Kaschemmen im Hafen. Und so verflüchtigte sich der Ärger, den er noch immer wegen dem Zusammentreffen in den Gassen empfand, ein wenig. Es stahl sich sogar der Hauch eines schelmischen Grinsens in seine altersgegerbte graue Haut.
"Das Bier ist nicht übel - für Menschengebrautes. Würd mich interessieren, ob die Küche auch überraschen kann. Was habt Ihr anzubieten, Wirtin?"
"Euer Gebräu wird von den meisten Menschen nicht vertragen." konterte Eleonora und grinste dabei.
"Was wünscht der Herr? Derzeit haben wir frisches Wild hinten, heut morgen geschossen. Kann ich zubereiten oder nicht. Wir haben Suppen, was Euren Geschmack meist nicht so trifft, Kartoffelgerichte, Brot..."
Roggash schnaubte - wie immer schlagkräftig diese Menschenfrauen aus dem Schankgewerbe. "Wargakoi - Gabe der Jagd! Ein wenig Wild wäre nicht zu verachten." Kurz zögerte der Ork, dann ließ er ein passendes Stück Geld auf den Thresen fallen. Er besaß nicht viel - doch in der gegenwärtigen Situation schien es ratsam, sich sozial adäquat zu verhalten. Der Schamane nahm einen weiteren Schluck aus dem Humpen Bier und blickte erstmals direkt in Richtung des Menschenjungen neben sich. Noch immer starrte dieser mit weit aufgerissenen Augen in Richtung des grau-grünen Hünen. "Was treibt eine mickrige Maus, wie Du eine bist, zu so später Stunde in einem Gasthaus wie diesem - so ganz allein?", wandte er sich ohne jede Vorwarnung an Alarion und starrte mit seinen Bernsteinaugen ein wenig provokant-spielend zurück.
Alarion schluckte. "ich ähm...". Er stotterte verhalten. Der Anblick von dem Ork machte ihm mehr Angst, als er sich anfangs eingestehen wollte.
"Ich bin nur ... auf der Durchreise."
Wieso hatte er eigentlich gelogen? Der Ork würde nicht viel damit anfangen können, dass er hier untergebracht war. Er hoffte wohl inbrünstig, der Ork würde sich mit dieser Standard-Antwort zufrieden geben.
Roggash stutzte einen Moment und musste unwillkürlich lachen. Es war ein tiefes, gutturales Röcheln, das echte Belustigung ausdrückte. "Durchreise!" Das Geräusch wiederholte sich. "So etwas wie 'Durchreise' gibt es nicht. Das würde bedeuten, dass der Ort, an dem man sich gerade aufhält, vollkommen unwichtig ist - nur das endgültige Ziel zählt. Nein! Das Leben ist eine einzige Reise ... jede Station hat eine Bedeutung, einen Sinn. Nichts ist unwichtig. Und das selbst dann, wenn ein Ort nur dazu da ist, von A'rgosh nach B'rota zu kommen."
Der Ork wandte sich wieder in Richtung der Theke um, nahm einen Schluck aus dem Bierkrug und wischte sich die verbleibende Flüssigkeit mit dem Ärmel aus seinem Bart.
Die Wirtin beobachtete den Ork sehr genau. Alarion sah so aus als würde er gleich vor Schreck umfallen. Sie kam hinter dem Tresen hervor und trat zu dem Jungen.
"Das Zimmer dürfte jetzt fertig sein. "JADIA!" Ihre zwölfjährige Tochter drängelte sich durch die Gäste hindurch.
"Ja, Mutter?" Diese wies auf Alarion.
"Bring ihn doch in das kleine Gästezimmer." Ihre Tochter nickte und wandte sich zu dem jungen Burschen um.
"Komm, es ist frisch aufgeputzt."
Eleonora winkte Marlon, der sogleich ankam.
"Für unseren Freund hier hol das Wildschwein heraus, wie hätten Sie's denn gern?"
"Machen Sie's nach Art des Hauses, Wirtin. Nach dem Bier bin ich in Eure Küche vertrauensselig ...!"
Alarions Angst wich einem Gefühl der Verwirrung. Was war das für ein Ork - ein reisender Gelehrter? Selbst von seinesgleichen hörte man eher selten welche, die aus einfachen Gesprächen solche Weisheiten knüpften. Dennoch hielt er es für besser, dem Ork vorerst fern zu bleiben. Er folgte Jadia zu seinem Zimmer.
----------
Blut spritzte in alle Richtungen… Kampfgetümmel… Finsternis… Grindol‘s Leichnam aufgebahrt...
Keuchend stand Grindol in einer dunklen Seitengasse. Ein mulmiges Gefühl hatte ihn beschlichen, noch nie haben ihn die Träume am hellichten Tag heimgesucht. Zum Glück schien alles sehr schnell vorbei gegangen zu sein niemand befand sich in seiner Nähe. Er tastete nach seiner Axt und dem Lederbeutel mit den Gemmen, es war noch alles da. Da seine innere Unruhe nicht wich holte er aus einem anderen Beutel eine weitere Rune: Algiz (Elch) – die Leben und Tod in sich vereint.
Neben den drei Runen aus dem Orakel hatte er noch weitere Runen von Meister Ugun erhalten.
Er strich über die mächtige Schutzrune und murmelte die Worte der Aktivierung.
Das Schiff des Elchs
steht meistens im Sumpf
es wächst im Wasser
und macht schreckliche Wunden
es badet jeder Mann in seinem Blut,
wenn er versucht, es zu berühren.
Grindol ging zurück zur schleichenden Katze. Als er die Türe öffnete sträubten sich ihm die Nackenhaare. Er sah, roch und fühlte den Ork im Bruchteil einer Sekunde, wen er aber vergeblich suchte war der Junge. Die Axt flog gedankenschnell in seine Hand als er auf den Ork losstapfte. Er baute sich hinter ihm in Grindol-Manier auf und klopfte mit den Schaft auf den Boden:
„Wo ist der Junge“?
War der Ork der Grund für seine Unruhe?
Roggash rührte sich nicht - widmete sich stattdessen vollends dem Wildschwein, das ihm von der Wirtin vor ein paar Minuten serviert worden war. Es war weich gekocht. Normalerweise bevorzugte er es, wenn ein wenig Widerstand in seiner Beute zu spüren war. Allerdings machten die Semmelknödel und das Rotkraut die Konsistenz wieder wett - harmonisierten sie doch allzu gut mit dem Braten. Das winzige Menschenbesteck machte ihm ein paar Probleme, allerdings ließ sich seine Freude beim Essen dadurch nicht einschränken. Den Zwerg, der sich hinter ihm aufplusterte hatte er bemerkt. Sein Blutgeruch war dem Ork bereits beim Marsch auf die Taverne aufgefallen. Jetzt, wo der Anhänger des Bergvolkes direkt hinter ihm stand, fiel Roggash auch die kleine Schweißnote auf, die von ihm ausging. Anscheinend war etwas Aufregendes vorgefallen - 'was' konnte er jedoch nicht erahnen. Auf die Frage des Zwerges reagierte er ebenfalls nicht. Dieser konnte nicht wissen, dass er kurz zuvor mit dem kleinen Menschling geredet hatte - er würde die Wirtin, Eleonora, darauf antworten lassen. Das Erdmännchen hinter ihm schien - seiner Haltung und seinem Gebahren nach zu urteilen - nämlich nicht unbedingt sehr gut auf ihn zu sprechen zu sein. Ein orkhassender Steineklopfer - wie stereotypisch ...
Eleonora roch sofort den Ärger und marschierte zu dem Zwerg.
"In diesem Hause sind gezückte Waffen nicht gestattet. Andere Gäste werden ebenfalls nicht belästigt." Sie schob sich zwischen dem Neuankömmling und dem Ork. Währenddessen traten einige der kräftigeren Stammgäste näher.
"Jegliche Probleme untereinander werden wenn dann draußen geklärt." Ihr unnachgiebiger und unerschrockener Blick bohrte sich in den des Zwergs.
"Der Ort an dem meine Schneide einen Ork einen Kopf kürzer macht ist überall," unbeeindruckt von dem Auflauf fuhr der Zwerg fort, "sagt mir zuerst wo der Junge ist."
"Grindol!" Alarion war gerade noch einmal herunter gekommen, weil er laute Stimmen aus dem Schankraum hörte. Als er den Zwerg erkannte, lief er freudig zu ihm herüber, aber wirkte gleichzeitig massiv irritiert. "Was in Oktans Namen geht denn hier vor sich?"
Blitzschnell schulterte der Zwerg seine Axt und lief dem Jungen entgegen. Freudestrahlend fragte er ihn: "Geht es dir gut? Ich wähnte dich schon auf dem Speiseteller von diesem Typ!" Mit den Augen wies er in Richtung Ork, der mit scheinbar stoischer Ruhe seine Mahlzeit einnahm.
"Haltet Euch zurück, Steinebuddler, bevor Ihr auf meinem Teller landet", zischte Roggasch, während er den letzten Knochen des Wildschweins auf sein Gedeck fallen ließ. Der Ork fixierte den um einiges kleineren Zwerg zu seiner linken. Jetzt, wo er ihn aus der Nähe betrachten konnte, fielen ihm die runenbesetzte Axt und das gleichfalls verzierte Wams auf. In dem roten Haar seines Gegenübers glänzten alle Handbreit funkelnde Gemmen. Roggash hatte gehofft, dass sich die geheimnisvollen Informationen der beiden Reisenden durch geheuchelte Freundlichkeit herauslocken ließen ... der Zwerg gegenüber machte jedoch klar, dass das wohl nicht von Erfolg gekrönt sein würde. "Euer Menschenwelpe ist wohlbehalten auf seinem Zimmer gewesen - beschuldigt nicht die Unschuldigen, Schmied!"
Die Augen der Wirtin wurden zu kleinen Schlitzen.
"Mir ist es völlig egal was es für eine Vorgeschichte gibt. Wenn du dich nicht benehmen kannst, bist du hier nicht willkommen."
Roggash griff nach dem an der Theke lehnenden Stab und erhob sich langsam von seinem Platz am Thresen. "Ich gedenke nicht zu bleiben, Wirtin", grunzte er - die Augen nicht von dem Zwerg nehmend. "Euer Par ... Geld ... liegt am Teller. Und Welpe!" Sein Blick zuckte kurz in Richtung Alarion. "Pass auf den Buddler auf, bevor er an meuchelnde Orks gerät ..."
Mit diesen Worten trottete Roggash langsam aus der schlafenden Katze ... oder wie auch immer der Schuppen nochmal hieß. Ein amüsiertes Lächeln stahl sich im Schatten seiner Kapuze in sein Gesicht. Wenn der Steinschleifer wüsste ... wenn sie alle wüssten ...