Am Tag des Evaluationstrainings
(Koop mit Cold und Kata)
Die Zielgerade.
Gleich würde das Evaluationstraining abgeschlossen sein, doch Adaeze war sich
ziemlich sicher, dass diese letzte Station es noch einmal ordentlich in sich
haben würde. Sie behielt ein gemächliches, energiesparendes Tempo bei, kam
jedoch bald in Sicht des letzten Trainingsgeländes. Adaeze verringerte ihr
Tempo und kam schließlich zum Stehen. Das war… nun, es wirkte, als wäre dieser
Parcours geradewegs aus einem Actionfilm oder -spiel gezogen worden.
Sie wünschte
sich ein Fernglas, doch auch so konnte sie den Kurs zumindest teilweise
einsehen. Während sie das vor ihr liegende Feld beobachtete, wartete sie
gleichzeitig auf Alva, die sicher nicht weit hinter ihr war.
Adaeze brauchte
nicht wirklich zu warten, da sie kaum, dass sie die letzte Station mit Blicken
überflogen hatte, bereits Alvas Keuchen hinter sich hören konnte.
Der Rotschopf
war die Strecke zwischen den letzten beiden Stationen tatsächlich vollständig
gesprintet um ihren Frust und Ärger abzubauen, welcher sie bei der sadistischen
Kartenstapelaufgabe angesprungen hatte.
"Sag
bloß", japste sie neben Adaeze angelangt, beugte sich leicht vor, die
Hände in die Seiten gestemmt um besser Atmen zu können "du hast auf mich
gewartet?"
Ein freches
Grinsen drängte sich auf ihr Gesicht, verblasste jedoch schnell, als sie die
vor ihnen liegende Fläche wahrnahm.
"Dreck!"
Stieß sie hervor, nahm mehrere kontrollierte, tiefe Atemzüge, woraufhin sich
ihre Atmung schnell merklich beruhigte. "Das ist jetzt nicht deren
Ernst?"
Unbewusst,
durch viele Trainingseinheiten in Fleisch und Blut übergegangen, begann sie
leicht auf den Zehenballen zu wippen, um die Beinmuskulatur nach dem langen
Sprint zu lockern und entspannen, soweit das im Moment möglich war.
"Sag bloß,
du bist die ganze Strecke gesprintet?", erwiderte Adaeze, wirkte dabei
jedoch nicht wirklich ungläubig. Natürlich war Alva die ganze Strecke
gesprintet. Adaeze wandte ihre Aufmerksamkeit nun auch wieder der letzten
Station zu.
"Anscheinend
schon", überlegte sie laut. "Natürlich gibt es auch noch den leichten
Weg raus." Sie nickte zu dem großen Tor, doch ihre Körperhaltung machte
ziemlich deutlich, dass sie es nicht wirklich als Option ansah.
"Was
meinst du, was die damit bezwecken wollen?"
"Habe mir
sagen lassen Sport sei gesund. Dachte ich versuchs einfach mal."
Schmunzelte sie und beäugte die letzte Station ausgiebig.
"Hm."
Meinte sie nach einigen Augenblicken unbestimmt. "Vielleicht wollen sie
sehen wer eine unmöglich erscheinende Herausforderung annehmen kann ohne zu
kneifen... oder sie wollen sehen, wer sich selbst realistisch einschätzen kann
und nicht unnötig gegen Windmühlenflügel ankämpft, sondern sich seine Kräfte
für etwas sinnvolleres aufspart."
Alva seufzte
leise.
"Andererseits
ist das hier ein Evaluationstraining und das Schlimmste was passieren könnte
sind ein paar blaue Flecken und vielleicht einzwei Brüche. Also warum aufgeben
und es nicht einmal versuchen?" Sie zwinkerte Adaeze herausfordernd zu.
"Und für uns beide müsste das doch machbar sein, nicht wahr?"
"Hm",
machte Adaeze nachdenklich. Alvas Einschätzung erschien ihr ziemlich
einleuchtend. Auf dem ersten Blick wirkte die Station unlösbar, doch
irgendeinem Zweck musste sie ja dienen.
"Also
gut." Sie grinste, doch in ihrem Kopf arbeitete es bereits. "Wir
haben keine Deckung und bei weitem nicht genug Feuerkraft, um diese Bunker
auszuschalten. Sollen wir also einfach unser Glück versuchen?"
"Schnell
sein, Haken schlagen und Glück haben. Klingt machbar. Vielleicht nicht gerade
beim ersten Versuch, aber machbar." Erwiderte sie und begann damit sich
etwas zu dehnen um die beanspruchte Muskulatur zu lockern und vielleicht das
letzte Quäntchen benötigter Energie hervor zu locken um diese Station zu
überstehen.
Schwieriges
Gelände, keine Deckung und feindlicher Beschuss.
"Sollen
wir nacheinander oder wollen wir es mal zusammen versuchen, damit sich die Bots
zwischen uns entscheiden müssen?"
Auch Adaeze
lockerte sich nun ebenfalls. Ihr Körper protestierte mittlerweile ziemlich
eindeutig, doch sie ignorierte ihn.
"Ich würde
sagen zusammen, das sollte unsere Chancen erhöhen."
Alva
schmunzelte und nickte.
"Gut, auf
dein Kommando." Stimmte sie zu, schüttelte ihre Glieder nach dem Dehnen
noch etwas aus, was zwar lächerlich wirken mochte, doch war es auf Welten mit
erhöhter Schwerkraft ein bekannter Anblick. Es sah zwar aus wie der Fehlschlag
eines Tanzversuches, verzögerte aber das Auftreten von Gelenkschmerzen bei den
Bewohnern jeden Tag deutlich im Vergleich zu Menschen, die sich nicht
"schüttelten".
Nach ihrem
Hoch-g-Tanz, peilte die Soldatin noch einmal über die Fläche vor ihnen und ging
dann am Rand runter in die Startstellung die Sprinter so gerne auf Tartanbahnen
mit Startklötzen verwendeten. Bereit für Adaezes Startsignal.
"Ha, alles
klar." Adaeze beendete ihre Dehnübungen ebenfalls und ließ sich dann
unweit von Alva in eine ähnliche Startposition sinken.
"Bereit?
Los!" Sie stürmte los und begann nach wenigen Metern Haken zu schlagen.
Bei Adaezes
Startsignal stemmte Alva die Füße gegen den Boden und katapultierte sich
regelrecht vorwärts.
Allerdings
schlug sie keine echten Haken, sondern verlegte sich im Sprint in möglichst
unregelmäßigen Abständen darauf einen oder mehrere diagonale Ausfallschritte um
ihre Vorwärtsbewegung kurz verlangsamen zu können ohne wirklich an
Geschwindigkeit einzubüßen.
Kommandantin
Beeboop wusste zu dieser Uhrzeit noch nicht, dass ihr heutiger Arbeitstag sehr
nervenaufreibend sein würde. Wer hätte auch ahnen können, dass unter diesen
hundert Rekruten ein so großer Anteil mittelmäßig bekloppt war?
Nun gut. Zum
Aufwärmen gab es für den „Bountyhunter from outta space“-Squad zwei
Soldatinnen, die wohl meinten, sie könnten mit Agilität alleine die Distanz
überwinden. Lustig! Denn sie waren noch nicht einmal beim knietiefen Morast
angekommen, der sie sicherlich verlangsamen würde. Einzelne
Scharfschützenroboter nahmen aus ihren gesicherten Stellungen die Beiden ins
Visier und feuerten los.
Für
Maschinengewehrfeuer oder gar Schockgranaten waren sie leider noch zu weit
entfernt.
Es wurde auf
sie geschossen. Das war reiner Wahnsinn! Adaeze warf sich zu Boden, rollte sich
ab, kam wieder auf die Füße und wiederholte das ganze noch einmal, in der
Hoffnung den Schüssen somit zu entgehen. Deckung war nicht in Sicht und sie
hatte keine Ahnung, wie lange sie das durchhalten würde.
Alva war
anfangs verunsichert, als der erwartete Beschuss ausblieb. Als dieser dann doch
einsetzte war es fast schon beruhigend... wenn man davon absah, dass sie
beschossen wurden.
Es war ein
irrsinniges Gefühl so völlig ohne Deckung durch den Beschuss zu sprinten. Im
Gegensatz zu Adaeze zog sie eine luftigere Ausweichmethode vor, vergrößerte
erst ihre Schrittweite und setzte dann auf unregelmäßige hohe und vor allem
weite Sprünge um möglichst viel Distanz auf diesem Präsentierteller zu machen.
Kommandantin
Beeboop war erstaunt, dass die beiden Rekrutinnen ihren Schützinnen noch nicht
zum Opfer gefallen waren. Sie konnten schließlich nicht ewig den Schockbolzen
ausweichen, oder etwa doch? Das vor den Beiden liegende Schlammbecken, ein Ort,
an den sich normalerweise lediglich das gemeine Schwein zum Suhlen hin
verirrte, würde dem hoffentlich bald Abhilfe schaffen. Denn nach dieser
unnötigen und lästigen Aufgabe - es erinnerte die Kommandantin an
Tontaubenschießen - könnte sie sich endlich wieder den wichtigen Dingen des
Lebens widmen, wie beispielsweise das interne Pingpongturnier ihrer Mannschaft.
Es galt schließlich einen Titel zu verteidigen.
Wie sie es bis
hierher geschafft hatte, ohne abgeschossen zu werden, war Adaeze selbst nicht
wirklich klar. Sie bekam auch kaum mit, wie Alva dem Beschuss auf gänzlich
andere Weise auswich, zu sehr war sie mit sich selbst beschäftigt. Das
Schlammbecken raste nun auf sie zu und Adaeze hatte keine Strategie mehr dafür
übrig. So warf sie sich einfach mit Schwung hinein und hoffte darauf, dass sie
schnell genug hindurch robben konnte.
Das
Schlammbecken! Da war es! Wie sie es bis dorthin geschafft hatte wusste sie
selbst nicht so genau.
Alles was Alva
nun noch sah war das letzte Stück direkt vor dem glitschigen Unvergnügen.
So darauf
bedacht Distanz zu machen, verzichtete sie übergangslos wieder auf
Ausweichbewegungen und beschleunigte noch einmal, während der Beschuss der
Drohnen wieder unweigerlich näher kam.
In höchster
Konzentration ging sie vom Sprint in den Dreisprung über, wie er bei
Weitsprüngen in Sportveranstaltungen Anwendung fand. Drei Sprünge direkt
hintereinander ohne zu verlangsamen, wobei jeder Sprung höher und weiter wurde.
Beim letzten Sprung stieß sie sich nur wenige Schritt vor dem schlammigen Untergrund
vom Boden ab, verwendete die gesamte Spannkraft ihres Körpers und warf auf dem
Höhepunkt ihrer Flugbahn Arme und Beine nach vorne.
Sie wusste
nicht, wie sie sich nach der Landung verhalten sollte, wie sie weiter dem
Beschuss ausweichen konnte in diesem Schlammbecken ohne Deckung. Alles was
jetzt wichtig war, war der Flug, die Körperspannung und der Versuch sich bei
der Landung nicht die Knöchel zu verstauchen.
Kommandantin
Beeboops Taktikroutinen liefen noch auf Sparflamme. Bei zwei Rekrutinnen waren
die möglichen Szenarien vergleichsweise einfach, es waren keine komplexen
Berechnungen erforderlich wie beispielsweise bei einem Ansturm von 50
Wagemutigen. So gab sie den beiden mit Maschinengewehren ausgerüsteten Robotern
im Bunker, welche dem morastigen Becken am Nächsten waren, den Feuerbefehl.
„Unsere Raison
d‘Être ist eure Vernichtung“, piepste Beeboop ehrfurchtgebietend in Binärcode
Alva und Adaeze entgegen, als ein Elektrobolzenhagel über sie hereinbrach.
Es war wohl von
Anfang an aussichtslos gewesen. Adaeze konnte das Gepiepse des Roboters nicht
entziffern, doch die Elektrobolzen sprachen ihre ganz eigene Sprache - vor
allem eine des Schmerzes. Mit ihrem letzter halbwegs klaren Gedanke, bevor sie
durch den Schock kurzzeitig das Bewusstsein verlor, überlegte sie, dass sie
besser dran gewesen wäre diese letzte Station einfach auszulassen...
Es gab keine
aussichtslose Situation, ehe nicht alles gelaufen war.
Alva klatschte,
die Hacken voran, in den weichen Morast und schlitterte unter den ersten
Elektrobolzen des Sperrfeuers hindurch. Noch in der Bewegung warf sie sich
herum um die Beine wieder unter den Körper zu bekommen und... bekam eine volle
Breitseite der beiden MG-Nester in den Torso. Mit einem merkwürdig gequetschten
Geräusch entwich die Luft aus ihren Lungen, als sich ihr Körper verkrampfte und
die Soldatin in sich zusammen sackte, als die Schockladungen ihr die Lichter
ausknipsten.
Bewusstlos aber
noch immer halb aufgerichtet steckte sie im Schlammbecken, mit Elektrobolzen
gespickt wie ein Mettigel mit Salzstangen.
Alva und Adaeze
wurden von ein paar Rettungsrobotern zurück an die Startbahn befördert. Ob sie
es erneut probieren würden? Oder würden sie es gut sein lassen und das
Evaluationstraining beenden? Beeboop hoffte Zweiteres, war sie doch gedanklich
bereits wieder mit der Zusammenstellung der idealen Strategie für das kommende
Pingpongturnier beschäftigt.
Als Adaeze
wieder zu sich kam, befand sie sich erneut am Anfang der unmöglichen letzten
Station. Ihr ganzer Körper schmerzte und so brauchte es einige Zeit, bevor sie sich
auf die Unterarme stützen und zur Seite drehen konnte, wo Alva lag. Gut, dann
hatte sie zumindest nicht als einzige versagt. Kurz blickte sie zu der
Hindernisstrecke, doch ihr Körper protestierte bereits lautstark. Mit einem
kraftlosen Grunzen rollte sie sich auf den Rücken.
"Ich bin
raus", gab sie nach einer Minute der Stille durch zusammengepresste Zähne
zu. "Wie sieht's bei dir aus?"
Ein
schmerzerfülltes Stöhnen war die Antwort. Mühsam hoben sich Alvas Lider ein
wenig und mit unbehaglichen Lauten bewegte sie den Kopf hin und her, bis Adaeze
in ihren Blick kam.
"Bei dem
Gelände wird noch ein Versuch nicht besser." Murmelte sie undeutlich und
räusperte sich angestrengt. Diese verdammten Elektrobolzen!
"Ich will
was trinken... und ne Massage..." Mit noch nicht ganz gehorsamen Muskeln,
die dafür um so mehr schmerzten begann sie sich linkisch hoch zu stemmen.
"Ja zu
beidem", erwiderte Adaeze. Sie sog scharf die Luft ein und stemmte sich
dann halb vom Boden, hielt einen Moment inne und hievte sich schließlich
gänzlich auf die Füße, um mit Alva gemeinsam das Feld zu verlassen.
Heute
Adaeze presste
die Kiefer so fest zusammen, dass ihre Muskeln schmerzten. Eine Falle. Es war
eine gottverschissene Falle gewesen und Alva und sie waren geradewegs
hineingelaufen. Wie lächerliche, dumme Anfängerinnen!
Vollkommen
egal, wie gut ihre restlichen Punkte oder ihre Gesamtpunktzahl war, Adaeze
konnte das Training nur als Niederlage werten. Schon meinte sie, das
altbekannte Flüstern hinter sich zu hören. Nur 3 Punkte für Adaeze Ejiofor? War
sie letzten Endes doch nur hier, weil ihr Vater ein hohes Tier im Militär
gewesen war? Stimmten die Gerüchte etwa, dass sie mit ihren alten
AusbilderInnen geschlafen hatte, um gute Bewertungen zu erhalten? War sie am
Ende nur gewöhnliches Kanonenfutter?
Nein. Adaeze
ballte die Hand zur Faust. Gut, dann hatte sie sich in diesem Training blamiert.
Das würde ihr einer, einziger Fehler an der Akademie bleiben.
Gerade wollte
Kimiko auf Sidars Frage antworten, da setzte sich jemand neben ihn und sprach
ihn an. Etwas verwundert erwiderte Kimiko das Winken, musste ihre Aufmerksamkeit
dann jedoch nach vorne richten, da das Seminar begann. Aufmerksam verfolgte sie
die genauen Ausführungen zum M.A.S.T.E.R.-System und hoffte, dass sie vor allen
Dingen im Punkt Accuracy gut abgeschnitten hatte. Bei Espinosas Worten war sie
mehr als froh, dass sie und Reo sich dazu entschlossen hatten, die letzte Etappe
zu überspringen. Dann lehnte sie sich etwas weiter vor, um ihre Ergebnisse zu
betrachten.
Das war… nun ja,
wirklich gut sah anders aus. Sie musste ihre Leistungen auf jeden Fall noch
deutlich verbessern, doch immerhin hatte sie für dieses Training die höchste
Punktzahl für Accuracy erhalten, was sie mehr als freute.
„Keine Sorge“,
sagte sie an Sidar gewandt und versuchte so aufbauend wie möglich zu klingen. „Das
ist doch nur das erste Training gewesen. Jetzt weißt du, was die Kriterien sind
und kannst entsprechend trainieren.“
Alvarez war
indes soweit es ging in seinem Sitz zurück gerutscht. Am liebsten wäre er
gleich im Boden versunken, bei der Punktzahl. Vor allen Dingen bei Endurance
hatte er so mies abgeschnitten – dabei brauchte er diese Kategorie am meisten,
wenn er doch Pilot werden wollte!