Wrrrrrrrrrr….wrrrrrrrrr…wrrrrrrrrr…."Guten
Morgen, Herr Stabskapitänleutnant. Es ist 5.45 Uhr. Die Temperatur betragt 22 °
Celsius."
Schon gut, du blöde Maschine…ich weiß wie
spät es ist. Schließlich hab ich dich darauf programmiert.
Stabskapitänleutnant Kriechbaum schlug die Augen auf. Trotz seiner Morgenmuffeligkeit war er
hellwach wie immer. Dennoch blieb er noch eine Minute liegen. Es war sein
morgendliches Ritual. Aufwachen, gedanklich fluchen, eine Minute noch hängenbleiben,
um die Wärme seiner Frau neben ihm noch ein wenig zu spüren. Dann öffnete er
seinen Schlafsack, der ihn in der Schwerelosigkeit im Bett hielt und schwebte
langsam davon. In schwärzester Dunkelheit fand er in seinem Schrank seine
Uniform, stieß sich vorsichtig ab und schwebte zum Badezimmer. Erst hier machte
er Licht. Seine Frau hatte noch drei Stunden Ruhe vor sich, bevor ihre Schicht
in der Kommandozentrale begann. Also ließ er sie schlafen. Sie würden sich beim
abendlichen gemeinsamen Essen wiedersehen. Er sah in den Spiegel. Für einen
Mann in den Vierzigern sah er zwar nicht alt aus, aber seine Arbeit zollte
langsam ihren Tribut.
Na komm schon, alter Mann. Von nix kommt nix.
Er öffnete die Duschzelle, schwebte hinein, schloss sie und aktivierte sie. In der
Schwerelosigkeit zu duschen war eine Herausforderung der besonderen Art. Eine
Dusche wie auf der Erde hätte in Sekunden das gesamte Appartement mit
Wasserkugeln gefüllt. Das Wasser wäre ja nicht einfach nach unten gefallen, und
selbst wenn, dann wären die Spritzer einfach davon geschwebt. Die Lösung war
einfach. Man schloss sich in einer Art Tüte ein und wurde kurz mit heißem
Wasser "beschossen". Dann seifte man sich ein, wurde wieder beschossen und dann
kam das unangenehme: Ein starker Windstoß jagte hindurch und saugte das Wasser
ab. Um komplett sauber zu sein, wiederholte sich das Spiel dreimal. Das und der
Wassermangel auf der Station war der Grund, warum man im Weltraum nur einmal
pro Woche duschte.
Als er schließlich aus seiner Kabine schwebte warf er einen Blick aus dem großen
Fenster. Die Erde lag exakt 35.786 km unter ihm. Der Teil des blauen Planeten,
den er sehen konnte, wurde gerade wach. Zumindest deuteten die Lichterflecken,
die Buenos Aires und Rio de Janeiro darstellten, das an. Er riss sich von dem
Anblick los und hangelte sich den Gang entlang. Schließlich gelangte er an sein
Ziel: Der Raumhafen. Um ankommende und abfliegende Raumschiffe leichter
abfertigen zu können, befand er sich am äußeren Rand der radförmigen
Raumstation. Hier wurden Frachter be- und entladen, gewartet, repariert und
betankt. Von hier wurden die Werften versorgt, die sich in höheren Orbits
befanden und von hier wurden die Rohstoffe, die aus den Kolonien kamen auf die
Erde geschickt. Die Arbeit im Raumhafen war nicht ungefährlich. Im Gegensatz zu
den Wohnmodulen waren die 15 Abfertigungsräume viel weiträumiger und größer dimensioniert. Frachtkisten
wurden gestapelt, Ladekräne hingen über dem Boden und überall wurde geschweißt,
gebohrt und gehämmert. Wenn man nicht aufpasste und den Halt verlor, würde man
mitten im Raum schweben ohne etwas dagegen tun zu können. Um das zu vermeiden,
hatte jede Person, die hier arbeitete einen Overall mit Navigationsdüsen zu
tragen. Im Gegensatz zu den Raumstationen in antiken Filmdateien wie "2001 -
Odyssee im Weltraum" der "Star Trek" waren die Raumstation im Hangar nicht
steril sauber, hell und ordentlich, sondern eher schmutzig und düster.
Natürlich erhellten starke Scheinwerfer das Areal, doch durch die Frachtkisten,
die sich immer in anderen Konstellationen im Hafen befanden, den Frachtkränen,
Kabel und umher schwebenden Mechanikern ergaben sich stets neue Schattenbilder.
Blitze und Funkenflug erzeugten ein schauerliches Spiel von Hell und Dunkel,
dröhnender Lärm von jaulenden Maschinen, hydraulischem Zischen und brüllenden
Crews sorgten für das ihre.
Die Größe der einzelnen voneinander abgetrennten Bereiche war nötig. So konnten
Transporter entweder andocken oder bei Bedarf sogar in die Wartungshallen
geschleppt werden. Das war der Alptraum eines jeden Schichtleiters.
Kriechbaum erreichte den Eingang, legte seinen Overall und das Sauerstoffgerät an, lies
sein Diagnosesystem die korrekte Funktion aller Systeme checken, verschloss den
Helm und machte sich auf den Weg in sein Büro. Nur anhand seiner Rangabzeichen
und seines Namensschildes konnte man ihn erkennen. Zwar war der Raumhafen
druckluftbeaufschlagt, doch nachdem man vor einigen Jahren eine gesamte
Abteilungscrew verloren hatte, die durch den Einschlag eines Mikrometeoriten
innerhalb von Sekunden gestorben waren, hatte man die Sicherheitsvorkommen
verschärft. Sollte der Anzug einen Druckabfall bemerken, würde sich automatisch
die externe Belüftung schließen und die interne Versorgung öffnen.
Kriechbaum hangelte sich weiter zu seinem Büro. Sein Adjutant Leutnant Werner blickte auf,
erhob sich aber nicht. Das war keine Respektlosigkeit, aber der Impuls des
Aufstehens hätte ihn in den Raum schweben lassen. Darem waren die Stühle mit
Gurten versehen.
"GutenMorgen, Herr Stakaleun." Lt. Werner salutierte im sitzen. Er nutzte die übliche
Abkürzung für Stabskapitänleutnant.
Kriechbaum erwiderte den Gruß und schnallte sich auf seinem Stuhl fest.
"Guten Morgen, Herr Leutnant. Erstatten Sie Bericht!"
"Im Verlauf des Tages werden drei Konvois erwartet. Die Jupiterroute kommt mit
98.000 Tonnen Erz, Mars mit 56.000 Tonnen Silizium und Titan mit 77.000 Tonnen
Deuterium. Dazu kommen noch zwei Nachzügler, ein Transporter schleppt einen
anderen, der bei der Durchquerung des Asteroidengürtels beschädigt wurde."
Kriechbaum merkte auf. "Schäden? Wie schwer?"
"Lässt sich nicht feststellen, Herr Stakaleun. Der leitende Ingenieur sagt, er kann die
Schäden nicht begutachten, da das Druckausgleichssystem beschädigt wurde. Also
kann er sein EVA-Vehikel nicht benutzen. Und vom Diagnosesystem kommen sonst
keine Daten herein. Aus Sicherheitsgründen wurde der Reaktor
heruntergefahren."
"Welche Fracht?"
"Raten Sie mal."
Kriechbaum schloss die Augen. Deuterium. In einem manövrierunfähigen Frachter, den man
nicht normal andocken und entladen konnte, weil die Druckausgleichsautomatik
nicht funktionierte.
"Na wunderbar. Halten Sie Station drei dafür frei. Was geht heute raus?"
"Die Nachtschicht hat die meiste Fracht schon gelöscht, die Umladung in den
Fahrstuhl erfolgt im Moment. Thomsen hat mal wieder richtig ranklotzen lassen."
Krichbaum rieb sich das Kinn und lächelte in sich hinein.
Thomsen, der Lademeister, von allen nur „Meister“ genannt. Einer von der alten Schule.
Bärbeissig, rau und knallhart. Legendär war die Geschichte von dem Neuling, der
beinahe einen Druckabfall verursacht hatte. Nachdem Thomsen die Katastrophe in
letzter Sekunde verhindert hatte, hatte er den Neuen sage und schreibe 15
Minuten lang angebrüllt, ohne eine einzige Beleidigung zweimal zu verwenden.
Nachdem er fertig war, hatte der Neue psychischen Beistand gebraucht.
Wenigstens konnte Kriechbaum dank Thomsen nun die Mannschaften klar für
Andocken machen lassen, ohne dass es zu hektisch wurde.
"Hat die Bodenstation schon die Bedarfslisten geschickt?"
"Ja, Herr Stakaleun. Wie immer ist Silizium knapp. Das soll als erstes raus. Aber
Mars kommt erst zwei Stunden nach Jupiter an. Wird eng Herr Stakaleun. Jupiter
könnten wir direkt andocken lassen, Mars und Neptun müssen allerdings warten.
Mars wird acht Stationen benötigen."
"Na schön. Jupiter kriegt die restlichen vier Stationen wenn sie hier ankommen. Der
Rest muss eben warten. Hat Berthold noch Kapazitäten frei?"
Stabskapitänleutnant Berthold hatte in der Schwesterstation den Raumhafens zu beaufsichtigen.
"Leider nicht. Bei denen geht gerade alles drunter und drüber, das neue Minenprojekt
für Ganymed ist schon drei Monate im Rückstand, weil die Kontrolle die Bauteile
für die Kraftwerke braucht. Die haben alles voller Fracht und Komponenten und
wissen kaum noch wohin damit."
"Mhm. Dann geben Sie den Fluglotsen die entsprechenden Daten rüber. Jupiter kriegt
vier Stationen. Der Rest wird für Mars freigehalten. Neptun muss eben warten.
Ist mal wieder Stoßzeit, Herr Leutnant. Da klappen die Pläne von der LK
(Logistikkommando) eben nicht so schön. Rufen Sie Pilgrim rein."
Er öffnete sein Terminal und betrachtete die Belegdaten. Der Lagerleitstand hatte
mal wieder geschlampt. Statt dass man nach dem LiFo-Prinzip (Last in first out)
arbeitete, wurde es genau umgekehrt gemacht. Dass man so die kommenden
Entladungen umständlich um die restliche Fracht herum navigieren musste, würde
in den Stoßzeiten ein Problem werden. Wer hatte den Leitstand heute unter
Kontrolle? Ah ja, natürlich. Lamprecht…ein über Vitamin B reingeschlüpfter
Papierhengst. Jedes Mal dasselbe. Seine Lieblingseinleitung lautete: "Laut Vorschrift…"
Es machte keinen Sinn mit ihm zu streiten. In drei Monaten war seine Zeit hier
oben abgelaufen und danach würde man ihn irgendwo anders ertragen müssen
Pilgrim schwebte heran. Er hatte die Sicherheitscrew unter seinem Kommando. Kriechbaum
war sich sicher, dass es kaum einen besseren für diesen Job gab. Analytisch,
strukturiert und gut ausgebildet. Emotionen während der Schicht hatte er an
Pilgrim noch nie gesehen. Aber wehe, man ließ Pilgrim mit seiner Mannschaft in
die Taverne. Dann wurde nicht mehr gefragt: "Was wollen Sie trinken?" Sondern:
"Was wollen Sie NICHT trinken?" Damit sparte der Barkeeper eine Menge Zeit.
"Melde mich zur Stelle, Herr Stakaleun."
"Trommeln Sie ihre Mannschaft zusammen und bereiten Sie für eine Evakuierung in Abteilung
drei vor. Kann sein, dass wir heute noch ein Pferd einfangen müssen. Sichern
Sie alle Ladungen, zählen sie alle Mann korrekt durch und bereiten sie die
Stabilisierung der Station vor."
Prilgrim machte Anstalten, sich auf seine Station zurück zu begeben.
"Und lassen Sie sämtliche Schweißarbeiten einstellen."
Pilgrim gab keine Regung von Überraschung oder Anspannung von sich. Er wusste was das
hieß.
"Geht klar, Herr Stakaleun."
Ein Pferd einfangen war der umgangssprachliche Ausdruck für eine Landung eines
Frachters im Raumhafen. Bei Beschädigungen am Triebwerk und
Druckausgleichssystem war das Vorschrift. Äußerst heikel. Ein Fehler und 12.000
Tonnen Leergewicht würden unkontrolliert in die Raumstation krachen. Auf der
Erde war das schon ein Alptraum. Im Vakuum war es ein Desaster mit Folgen die
man sich nicht im Ansatz vorstellen wollte. Und wenn die 12.000 Tonnen noch mit
zusätzlichen 25.000 Tonnen hochverdichtetem Deuterium beladen waren, dann hieß das Alarmstufe
Doppelrot. Ein Fehler, und es wäre völlig egal, wie schnell der Frachter in die
Strukturen krachen würde. Die Leute auf der Erde könnten sich dann eine
Supernova im geostationären Orbit ansehen.
Sein Interkomm piepte.
"Ja?"
Der wachhabende Ingenieur meldete sich.
"Herr Stakaleun? Wir haben einen Defekt im Beladungskran fünf. Die Ingenieure checken
es gerade, aber es sieht so aus, als ob die Hydraulik versagt hat. Wird drei
bis vier Stunden dauern."
Kriechbaum blickte zu Leutnant Werner.
"Wann kommt Jupiter an?"
Der Angesprochene öffnete eine Datei.
"Laut Plan in dreieinhalb Stunden."
Kriechbaum wandte sich wieder dem Komm zu.
"Sie haben drei Stunden LI. Schnappen Sie sich von mir aus einen von der
Nachtschicht, aber in drei Stunden ist der Kran repariert."
"Jawohl, Herr Stakaleun."
Das Komm erstarb.
"Was wohl als nächstes schiefgeht?"
Leutnant Werner machte Andeutungen als zucke er mit den Schultern.
Er öffnete eine Verbindung.
"Alle Mannschaften herhören. In drei Stunden wird Kontakt mit Konvoi erwartet. Die
Stationen eins, zwei und vier werden zum Löschen von Erzfracht vorbereitet.
Fünf bis zwölf werden für Silizium vorbereitet. Station drei wird umgehend von
jedem, der keinen roten Status hat geräumt. Die Sicherheitscrews werden sich umgehend
in ihren Stationen einfinden, um weitere Befehle zu empfangen. Ende."
Sofort entbrannte eine Hektik in der Station. Crews hangelten sich zu ihren Stationen
und begannen mit den Vorbereitungen. Es war etwas anderes, Siliziumfracht zu
löschen als Metallfracht. Silizium würde in Schüttgutfrachtern ankommen, die
über ein Schlauchsystem direkt in einen Tank geleert würden. Metallfracht hieß,
dass man raffinierte und in standardisierte Formen gegossene Bauteile mit Hilfe
von Ladekränen aus dem Frachter angelte und mit auf Schienen fixierten
Schlitten in die Lagerräume brachte. Mann musste aufpassen, denn ein 10 Tonnen
schwerer Stahlträger, der davon trieb, konnte selbst bei geringeren
Geschwindigkeiten große Schäden anrichten. Ladungssicherheit war das A und O.
Deuterium aus den Tankern zu löschen war dagegen äußerst kritisch. Als
Wasserstoffisotop war es hochentzündlich und außerdem kam es in flüssiger Form
an. Ein Fehler und der Raumhafen würde sich in eine Supernova verwandeln. Bei
einem Leck würde das Deuterium sich sofort in gasförmigen Zustand auf das
165-fache seines Volumens ausdehnen und aus dem Loch schießen. Die dabei
entstehende Reibungshitze würde in kürzester Zeit die Selbstentzündung
verursachen.
Aber es war nicht das erste Mal und würde auch nicht das letzte Mal sein. Kriechbaum
hatte in den letzten fünf Jahren insgesamt sieben Pferde eingefangen. Es würde
auch dieses Mal wieder klappen.
Er arbeitete weiter. Die Personalabteilung wollte ihm drei erfahrene Mechaniker
streichen und ihm dafür zwei Neulinge aufdrücken. Nachdem er den Anzugträgern
seine Meinung gesagt hatte, stand die Schichteinteilung für den nächsten Monat
auf dem Programm, aufgrund einer Offensive gegen die Rebellen aus dem
Magellancluster mussten fünf Staffeln von Jägern gewartet werden. Die
entsprechenden zusätzlichen Personalanforderungen mussten aufgestellt und
abgeschickt werden.
Es war ein ganz normaler Arbeitstag. Eine Menge administrativer Arbeiten und
Papierkram.
Schließlich ertönte eine emotionslose, vermutlich weibliche Stimme:
"Achtung an alle Stationen! Metallbeladener Konvoi trifft ein. Alle Stationen klar für
Andockmanöver!"
Kriechbaum sah auf. "Sie haben die Dame gehört. Dann legen wir los!"
Hoffe es hat gefallen, wenns gewünscht ist, dann gibts ne Fortsetzung